GESCHICHTE DER SAMMLUNG


Nachdem Georg Rörer 1522 nach Wittenberg gekommen war, begann er Vorlesungen und Predigten Martin Luthers, aber auch anderer Wittenberger Theologen aufzuzeichnen. Zunächst mag er dies zufällig und für den privaten Gebrauch getan haben. Doch schon nach wenigen Jahren hatte er sich den Ruf eines zuverlässigen Schnellschreibers erworben und erkannte nun aufgrund des Interesses für seine Mitschriften, welche große Bedeutung diese für die Wittenberger Reformation hatten. Entsprechend planvoll begann er seine Sammlung auszubauen. Er verlieh seine Hefte z.B. an Johann Schlaginhaufen, Stephan Roth oder Caspar Cruciger und erhielt dafür Material, was er noch nicht besaß. Dieses ordnete er zu neuen Heften zusammen. So entstanden Sammlungseinheiten mit Vorlesungen Luthers oder Melanchthons, mit Predigten Luthers oder Bugenhagens sowie Bände mit Briefen. Diese Mit- bzw. Nachschriften wurden beispielsweise in den 1530er Jahren für die Ausgaben von Vorlesungen oder Predigten durch Veit Dietrich, Caspar Cruciger und Rörer herangezogen. Luther beurteilte diese Ausgaben sehr verschieden, lobte aber stets Rörers Genauigkeit.

Rörers Sammlung erhielt eine noch größere Bedeutung, als 1537 der Plan gefasst wurde, eine Gesamtausgabe der Werke Luthers zu veranstalten. Weil seine Kurzschrift nur sehr schwer zu lesen war, wurde er mit Cruciger beauftragt, sich um die Zusammenstellung der Bände der Wittenberger Lutherausgabe zu bemühen. Mit großem Ehrgeiz versuchten beide unterstützt durch Georg Spalatin, weitere Werke zusammenzutragen, die in Wittenberg nicht mehr vorhanden waren. Luther hatte sich nie um die Sammlung seiner Werke oder Briefe gekümmert. Im Zuge der Erarbeitung dieser Werkausgabe hatte Rörer freie Hand. Nach Luthers Tod während der Interimistischen Streitigkeiten warf ihm deshalb Nikolaus von Amsdorf vor, er verfälsche die Gedanken Luthers. Rörer wehrte sich, indem er sich auf Luthers Zustimmung und sogar Anweisungen berief.

Die Sorge um die genaue Überlieferung der Werke Luthers ließ ihn nach dem Schmalkaldischen Krieg in Wittenberg unruhig werden. Einerseits befürchtet er, dass das "Licht des Evangeliums" durch ein Eingreifen des Kaisers und des Papstes wieder verdunkelt werden könnte und damit die Sache Luthers ausgelöscht werden könnte. Andererseits merkte er, dass ein Riss durch das eigene Lager ging, indem sich einige Theologen stärker an Melanchthon orientierten, andere aber - um Matthias Flacius Illyricus oder Nikolaus von Amsdorf - vorgaben, sich stärker an Luther zu orientieren. Er suchte nach einem sicheren Ort und dieser war für ihn Dänemark, wo Christian III. (1503-1559) regierte, der die Wittenberger Theologie immer gefördert hatte. Mit seiner Sammlung ging er 1551 in der Hoffnung dorthin, eine vollständige Lutherausgabe veranstalten zu können. Dieser Plan wurde nie realisiert.

1553 erreichte Rörer der Ruf seines ehemaligen Landesherrn, Johann Friedrich von Sachsen, der nur wenige Wochen zuvor aus kaiserlicher Haft entlassen worden war. Er wünschte, dass Rörer mit seiner handschriftlichen Sammlung von Werken Luthers und anderer Wittenberger Theologen nach Jena käme. Die bereits damals einmalige Sammlung sollte ein Garant für die Kontinuität Wittenberger Theologie sein. Rörer wurde in Jena mit einer neuen Ausgabe der Werke Luthers in der Jenaer Ausgabe betraut. Doch dabei hatte er mit Nikolaus von Amsdorf zusammenzuarbeiten, der sehr genau Rörers Arbeitsweise überwachte. Er hatte nicht mehr die Freiheiten, wie in Wittenberg zu Lebzeiten Luthers. Er sollte nur noch genau den Wortlaut der Schriften Luthers abdrucken, wie er sie verfasst hatte. Veränderungen wurden ihm strikt untersagt.

Nach Rörers Tod ging seine Handschriftensammlung in den Bestand der ehemaligen kurfürstlichen Bibliothek - der heutigen Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek -  ein, nachdem sie bereits zu seinen Lebzeiten von den Ernestinern angekauft worden war. Sie schätzten ihren Wert als so hoch ein, dass sie sich das Recht vorbehielten, ihre Benutzung zu erlauben. Tatsächliche wurde Rörers Sammlung kaum noch benutzt. Andreas Poach gab 1563 vier Predigten heraus, die er aber schon vor Rörer Tod abgeschrieben hatte. Johann Aurifaber wollte einige Bände für seine geplante Ausgabe mit Lutherbriefen nutzen. Für seine Tischredenausgabe hatte er sich bereits Abschriften gemacht. Im Zuge der Erarbeitung der Altenburger Lutherausgabe wurden einige Bände 1665 nach Altenburg ausgeliehen, aber dann wegen der schwer lesbaren Schrift doch nicht ausgewertet. Erst Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780-1849) edierte in seiner Ausgabe der Lutherbriefe (1825-1828) einige seltene Briefe aus Rörers Sammlung. So kommt schließlich das Verdienst Georg Buchwald zu, bei seinen Recherchen für die Weimarer Lutherausgabe die Sammlung Georg Rörers 1894 wiederentdeckt zu haben. Er selbst machte besonders den bis dahin unbekannten Schatz der Predigten Luthers durch seine Editionen der Lutherforschung bekannt.